Schöne Aussichten

Von Christian Schramm, 12 November, 2020
Eine rosa-farbenes Fernrohr blickt in die Ferne

Muss schön sein, was gut ist? – Diese Frage wird auf der Startseite der Digitalen Domschule in den Raum gestellt. Ich möchte die Frage ein klein wenig modifizieren, etwas drehen und wenden: Hängen Schönheit bzw. Ästhetik und Lernen eigentlich zusammen? Bzw. wie? Hat das eine für das andere eine Relevanz? Bzw. welche? Darüber möchte ich mit Ihnen nachdenken.

Zwei Beobachtungen.

Beobachtung Nr. 1:

Ich finde die Begegnung mit der Bibel bzw. mit biblischen Texten in Lernkontexten oftmals nicht besonders „schön“ bzw. ästhetisch inszeniert. Ich denke hierbei – etwas provokativ-pointiert formuliert – an zerfledderte, beschmierte Schulbibeln, die leider nicht zu den wertigsten Bibelausgaben auf dem Bibelmarkt gehören. Ich denke an lieblos kopierte Bibeltextbleiwüsten ohne formatierende Sorgfalt oder andere Stimmungsaufheller (und muss mich dabei als biblischer Fortbildner auch an die eigene Nase fassen).

Wie anders gestaltet sich dagegen die Begegnung mit der Bibel, wenn schon das Buch in meiner Hand Ausdruck der Wertigkeit des Inhalts ist. Wenn die „Heilige Schrift“ ganz konkret greifbar, fassbar wird. Das kann sich in Größe und Gewicht niederschlagen, das kann in Material und Gestaltung sichtbar und v. a. spürbar werden. Und das setzt sich in der Formatierung des Textes (Schriftart, Textfluss, Farbnuancen …) fort. (1)

Wenn ich ein Buch, beispielsweise eine Bibel, gerne zur Hand nehme, weil sich das Buch in meiner Hand gut anfühlt, weil mich seine Gestaltung anspricht, weil es mir ein fröhliches Lächeln ins Gesicht zaubert, dann schlage ich es anders gestimmt auf, dann lese ich in anderer Verfasstheit darin. Positiver, motivierter, kraftvoller. Mit Freude. Das gilt im Übrigen auch für Textblätter.

Aspekte von Gestaltung und Materialität sollten m. E. nicht unterschätzt werden, wenn es um Lernprozesse geht. Schade, dass klassische „Lehrbücher“ meistens eher billig denn schön sind. Warum eigentlich?

Beobachtung Nr. 2:

Als wir für unsere Tochter einen Kindergartenplatz gesucht haben, haben wir verschiedene Einrichtungen besucht. Stets wurden wir freundlich und zuvorkommend behandelt und stets sind wir auf Verantwortliche getroffen, denen das ehrliche Mühen um gute Förderung der Kinder anzumerken war. Was sich von Ort zu Ort fundamental unterschied: die Ästhetik der Gebäude, Räume, Ausstattung, die Schönheit und Klarheit der Anlage.

Jetzt kann man sagen: „Uns stört nicht, dass die KiTa aus den 80ern ist und auch so aussieht, Hauptsache, sie ist nah und wir bekommen dort einen Platz! Unserer Tochter ist es doch eh egal, ob das Gebäude ein wenig oll ist!“

So kann man argumentieren. Ja, vielleicht hat man gar keine andere Wahl. Wir hatten – zum Glück – die Wahl und wir haben für uns gemerkt: Uns ist – neben anderen pädagogischen Aspekten – wichtig, dass unsere Tochter in einer ästhetisch-schönen Umgebung mit anderen Kindern spielen, basteln und fürs Leben lernen kann.

Das gerade beschriebene Phänomen setzt sich an Schulen und Hochschulen fort. Hier ist hinsichtlich Schönheit, Ästhetik, Klarheit, Modernität oft noch viel Luft nach oben. Wenn ich nur an den etwas heruntergekommenen Seminarraum an der Uni Bonn denke, in dem ich ein Semester lehrte (wacklige Tische, bunt zusammengewürfelte Stühle, keine Technik, kaum Ausstattung). Anfangs dachte ich, dass uns das nicht beeinflussen würde – immerhin wollten wir in diesem Seminar exegetische Denkarbeit leisten. Im Nachgang muss ich leider sagen: Doch, der Output hängt auch von den formalen und räumlichen Gegebenheiten ab.

Diese Einsicht war auch Maria Montessori wichtig. Durch meine Frau, die selbst als Schülerin eine Montessori-Schule besucht hat und sich später entsprechend weitergebildet hat, durfte ich diese faszinierende Reformpädagogin kennenlernen. Maria Montessori war sowohl mit Blick auf die räumliche Umgebung als auch das verwendete Material v. a. eines wichtig: Schön und wertig – das muss sein! Denn dies befördert die Freude und damit den Lernerfolg. Und es lässt Wertschätzung greifbar werden. (2)

Das finde ich anregend, wenn ich über Lernsettings, Lernarrangements, Lernprozessdesign … nachdenke – und auch mit Blick auf eine digitale Lerninfrastruktur wie die Digitale Domschule ist das m. E. äußerst bedenkenswert.

Eine Grundeinsicht.

Diese zwei Beobachtungen fundieren für mich – auch als Fortbildner und Hochschullehrer – eine Grundeinsicht: Schönheit und Ästhetik sind für mich Grundpfeiler für gutes und erfolgreiches Lernen. Vor diesem Hintergrund ist für mich klar: Die Digitale Domschule wird „schön“ werden, ansprechend, einladend, eine „Augenweide“ – ja sie muss es, wenn sie wirklich zu einem fruchtbaren Ort des guten Lernens werden will, soll.

Was denken Sie?

Inwiefern ist für Sie Schönheit/Ästhetik für gutes Lernen wichtig? Oder konkreter: Wie sieht für Sie eine „schöne“ digitale Lernumgebung aus? Was zeichnet sie aus?

Schreiben Sie gerne in den Kommentaren. Ich bin gespannt!

 

Anmerkungen

(1) Über die Materialität der Bibel und die Frage nach der (Erst-)Begegnung durfte ich schon mal im Rahmen der Katechetischen Blätter nachdenken: Praktische Anregungen für eine (Erst-)Berührung mit der Heiligen Schrift, in: KatBl 144,3 (2019) 221–226. 

(2) Unserer Tochter haben wir Maria Montessori mit Hilfe eines wirklich bezaubernden kleinen Buches aus der Reihe Little People, Big Dreams nahe gebracht, siehe HIER.

(Bild: pixabay_yunjeong)

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